top of page

Fertilitätswissen - ein wissenschaftlicher Blogartikel

  • Autorenbild: Adrienn Schneider
    Adrienn Schneider
  • 5. März
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 5. März


Fertilität ist ein zentrales Thema in der reproduktiven Gesundheit, das sowohl individuelle Lebensentscheidungen als auch gesellschaftliche Entwicklungen beeinflusst. Trotz der Bedeutung des Themas ist das Wissen über Fertilität in der Allgemeinbevölkerung oft unzureichend. In diesem kurzen, wissenschaftlichen Blogbeitrag (in Anlehnung an die AWMF Leitlinie, 2019) beschreibe ich den aktuellen Stand des Wissens über Fertilität, identifiziere Wissenslücken und betrachte die Auswirkungen auf die reproduktive Gesundheit.

Wissen über Fertilität: Eine Bestandsaufnahme

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass das Wissen über Fertilität in der Allgemeinbevölkerung begrenzt ist. Eine Untersuchung von Kelsey et al. (2016) ergab, dass viele Menschen grundlegende Informationen über den Menstruationszyklus, den Zeitpunkt des Eisprungs und die Faktoren, die die Fruchtbarkeit beeinflussen, nicht kennen. Nur 30 % der Befragten konnten den Zeitpunkt des Eisprungs korrekt identifizieren, was auf eine erhebliche Wissenslücke hinweist.

Was bereits bekannt ist: Die Forschung hat immer wieder gezeigt, dass die Entscheidung, die Geburt eines Kindes hinauszuzögern, bei vielen Frauen zu ungewollter Kinderlosigkeit führen kann, da die Auswirkungen des altersbedingter Fruchtbarkeitsrückgangs oft nicht berücksichtigt werden. In zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen wird auch festgestellt, dass es starke Verbindungen zwischen altersbedingter ungewollter Unfruchtbarkeit und negativen psychologischen Auswirkungen gibt, darunter eine erhöhte Prävalenz von Angstzuständen, Depressionen, Schuldgefühlen, Stigmatisierung und schlechter psychischer Gesundheit, so Kearney und White (2016).

Einflussfaktoren auf das Wissen über Fertilität

Das Wissen über Fertilität variiert erheblich in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren, darunter Geschlecht, Bildungsniveau und kultureller Hintergrund. Studien zeigen, dass Frauen tendenziell mehr über Fertilität informiert sind als Männer (Harrison et al., 2019). Zudem haben Personen mit höherem Bildungsniveau ein besseres Verständnis der Fertilitätsprozesse und -faktoren.

Kulturelle Überzeugungen und gesellschaftliche Normen spielen ebenfalls eine Rolle. In einigen Kulturen wird das Thema Fertilität tabuisiert, was zu einem Mangel an Informationen und einem erhöhten Stigma führt (siehe z. B. Bunting et al., 2013). Dies kann die Bereitschaft zur Inanspruchnahme von Beratungs- und Unterstützungsangeboten bei Kinderwunsch verringern.

Auswirkungen unzureichenden Wissens über Fertilität

Unzureichendes Wissen über Fertilität kann erhebliche Auswirkungen auf die reproduktive Gesundheit haben. Fehlendes Wissen über den eigenen Körper und die Fruchtbarkeit kann zu verzögerten Schwangerschaften, unerfülltem Kinderwunsch und psychischen Belastungen führen. Eine Studie von Boivin et al. (2011) zeigt, dass Paare mit unzureichendem Wissen über Fertilität ein höheres Risiko für psychische Probleme wie Angst und Depression aufweisen.


Darüber hinaus kann unzureichendes Wissen über Fertilität auch die Inanspruchnahme von medizinischen Dienstleistungen beeinträchtigen. Paare, die nicht über die Möglichkeiten der Fruchtbarkeitsbehandlung informiert sind, könnten weniger geneigt sein, Hilfe in Anspruch zu nehmen, was zu einer weiteren Verschlechterung ihrer Situation führen kann (Greil et al., 2010).


Bislang noch relativ ungeklärt sind gängige Einstellungen und Mythen zur Fertilität insbesondere unter jungen Menschen und die Frage, was bezüglich der fertilitätsmindernden Risikofaktoren in der Bevölkerung (überhaupt) bekannt und präsent ist. Vielen Menschen scheint beispielsweise nicht klar zu sein, dass sie Chancen, Kinder zu haben, vergeben, wenn sie den Kinderwunsch aufschieben. In Studien (z. B. Bretherick et al., 2009; Bunting und Boivin 2008), die das Wissen über den Einfluss bestimmter Lebensstilfaktoren auf die Fertilität erfassten, wussten die Befragten wenig über spezifische Risiken. Bei Bunting und Boivin (2008) glaubten die befragten Studentinnen fälschlicherweise an bestimmte Mythen und „pseudoprotektive Faktoren“ (z. B. höhere Fruchtbarkeit beim Leben auf dem Land, erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Konzeption nach Adoption), die in einer analogen Befragung deutscher Studierender weitgehend bestätigt wurden.


In den meisten Studien wird selbst der Risikofaktor Alter von den Befragten deutlich unterschätzt (Bretherick, 2009; Lampic et al., 2006; Skoog et al., 2006). Die Chance, durch assistierte Reproduktion schwanger zu werden, wird dagegen deutlich überschätzt (siehe z. B. Adashi et al., 2000; Maheshwari et al., 2008; Stöbel-Richter et al., 2012). Ein nicht unerheblicher Teil von Paaren berichtet in Befragungen, trotz Kinderwunsch keinen Geschlechtsverkehr während des optimalen Konzeptionszeitpunktes zu haben (20 % der Paare in der Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach 2007 und 50 % der Paare in der Studie von Pook et al., 2002), was ebenfalls auf Wissensdefizite hinweisen könnte.


Die Studien der letzten Jahre zeigen, dass das Thema der Prävention von Fertilitätsstörungen noch viel zu wenig untersucht wurde. Studien wären insbesondere notwendig zu folgenden Aspekten: Determinanten des Wissens und der Einstellungen über Fertilitätsstörungen bei Personen unterschiedlichen Lebensalters, unterschiedlicher Schicht und unterschiedlicher Herkunft, Identifikation von und Aufklärung zu Risikofaktoren (wie Adipositas, Chlamydieninfektion, „life-style“-Faktoren wie z. B. Nikotin- und Anabolikakonsum) sowie Entwicklung und Evaluation von Präventionsmaßnahmen im primärärztlichen Bereich vor allem für junge Patientinnen und Patienten.


Fazit und Empfehlungen

Das Wissen über Fertilität in der Allgemeinbevölkerung ist oft unzureichend und weist erhebliche Wissenslücken auf. Um die reproduktive Gesundheit zu fördern und unerfülltem Kinderwunsch entgegenzuwirken, ist es entscheidend, Bildungs- und Aufklärungsprogramme zu entwickeln, die sich an verschiedene Bevölkerungsgruppen richten. Diese Programme sollten Informationen über den Menstruationszyklus, den Einfluss des Alters auf die Fruchtbarkeit und die Möglichkeiten der Fruchtbarkeitsbehandlungen thematisieren.


Literaturverzeichnis

Adashi EY, Cohen J, Hamberger L et al. (2000) Public perception on infertility and its treatment: an international survey. The Bertarelli Foundation Scientific Board. Hum Reprod 15: 330-334

AWMF-Leitlinie 016-003. Psychosomatisch orientierte Diagnostik und Therapie bei Fertilitätsstörungen (Update 2019); 9. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/016-003.

Bretherick KL, Fairbrother N, Avila L et al. (2009) Fertility and aging: do reproductive-aged Canadian women know what they need to know? Fertil Steril 93: 2162-2168

Boivin J, Griffiths E, Venetis CA. Emotional distress in infertile women and failure of assisted reproductive technologies: meta-analysis of prospective psychosocial studies. BMJ. 2011 Feb 23;342:d223. doi: 10.1136/bmj.d223. PMID: 21345903; PMCID: PMC3043530.

Bunting L, Boivin J (2008) Knowledge about infertility risk factors, fertility myths and illusory benefits of healthy habits in young people. Hum. Reprod.: den168

Bunting L, Tsibulsky I, Boivin J, Fertility knowledge and beliefs about fertility treatment: findings from the International Fertility Decision-making Study, Human Reproduction, Volume 28, Issue 2, February 2013, Pages 385–397, https://doi.org/10.1093/humrep/des402

Greil, A.L., Slauson-Blevins, K. and McQuillan, J. (2010), The experience of infertility: a review of recent literature. Sociology of Health & Illness, 32: 140-162. https://doi.org/10.1111/j.1467-9566.2009.01213.x

Harrison RF, He W, Fu S, Zhao H, Sun CC, Suidan RS, Woodard TL, Rauh-Hain JA, Westin SN, Giordano SH, Meyer LA. National patterns of care and fertility outcomes for reproductive-aged women with endometrial cancer or atypical hyperplasia. Am J Obstet Gynecol. 2019 Nov;221(5):474.e1-474.e11. doi: 10.1016/j.ajog.2019.05.029. Epub 2019 May 22. PMID: 31128110; PMCID: PMC7069241.

Kearney AL, White K, Examining the psychosocial determinants of women's decisions to delay childbearing, Human Reproduction, Volume 31, Issue 8, August 2016, Pages 1776–1787, https://doi.org/10.1093/humrep/dew124

Kelsey, M. M., et al. (2016). "Knowledge of Fertility and Reproductive Health Among Young Adults: A Cross-Sectional Study." Journal of Adolescent Health, 59(3), 345-351. doi:10.1016/j.jadohealth.2016.05.012.

Lampic C, Svanberg AS, Karlstrom P et al. (2006) Fertility awareness, intentions concerning childbearing, and attitudes towards parenthood among female and male academics. Hum Reprod 21: 558-564

Maheshwari A, Porter M, Shetty A et al. (2008) Women's awareness and perceptions of delay in childbearing. Fertil Steril 90: 1036-1042

Skoog Svanberg A, Lampic C, Karlström P-O et al. (2006) Attitudes toward parenthood and awareness of fertility among postgraduate students in Sweden. Gender Medicine 3: 187-195

Stöbel-Richter Y, Geue K, Borkenhagen A et al. (2012) What do you know about reproductive medicine? Results of a German representative survey. PLOS ONE 7: 

 



 
 
 

Comments


bottom of page